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Der Dank gehört dir – nicht dem Arschengel

Du sitzt in einem Raum. Es ist nicht das erste Mal, dass diese bestimmte Person etwas sagt – mit genau diesem Tonfall, diesem Blick, dieser beiläufigen Arroganz. Und doch trifft es dich wie aus dem Nichts.

Dein Magen zieht sich zusammen. Dein Atem wird flach. Dein Herz rast. Worte schwirren im Kopf, aber keines will raus. Du bist sprachlos – nicht weil du es intellektuell nicht verstehst, sondern weil du mitten in einer Alarmreaktion steckst.

Das ist der Moment, in dem viele ihrem sogenannten Arschengel begegnen – ungebeten, aber wirksam.
Was dabei ausgelöst wird, ist kein Zufall - es ist ein Trigger.


Der Begriff „Trigger“ stammt ursprünglich aus der Waffenlehre. Er bezeichnet den Abzug, der – einmal betätigt – eine unaufhaltsame Reaktion auslöst.

Heute wird „Trigger“ häufig inflationär gebraucht. Viele sagen: „Das triggert mich jetzt.“ Doch in seiner eigentlichen Bedeutung meint der Begriff etwas anderes: Ein Reiz, der gespeicherte Erfahrungen reaktiviert – tief, automatisch, oft überfordernd.

Ein Trigger kann über jeden Sinneseindruck auftreten:

  • Ein bestimmter Tonfall
  • Ein Blick, eine Geste
  • Eine körperliche Nähe
  • Ein vertrauter oder unangenehmer Geruch
  • Ein Geräusch oder eine Atmosphäre

Was folgt, ist oft ein Flashback: ein plötzlicher Rückfall in einen alten emotionalen oder körperlichen Zustand. Nicht unbedingt als Bild, sondern als Gefühl: Enge, Druck, Erstarren, Leere oder impulsive Überforderung.

Das ist keine Überreaktion. Das ist ein autonomes Schutzprogramm, das dein Nervensystem einmal gelernt hat – und das heute wieder greift.


Der Begriff „Arschengel“ wurde durch Robert Betz populär. Er beschreibt Menschen oder Situationen, die uns so stark fordern, dass wir daran wachsen – eben auch durch Schmerz.

Aber diese Idee birgt eine gefährliche Vereinfachung.

Denn oft heißt es dann:

„Sei diesem Menschen dankbar – ohne ihn wärst du nicht so stark geworden.“

Oder schlimmer:

„Das ist deine Lernaufgabe.“

Oder:

„Du musst das tragen, du ziehst das an.

Das ist kein Trost. Das ist ein spirituell verpacktes Totschlagargument. Und es hält Menschen dort fest, wo sie eigentlich raus wollen.

Es verkehrt Täter-Opfer-Dynamiken, drängt zur Versöhnung, wo klare Grenzen nötig wären – und macht den Schmerz zur Schuldfrage.


Wenn wir sagen „Ich muss das wohl aushalten“, bewegen wir uns in einer gefährlichen Zone: der Ohnmacht in hübscher Verpackung.

Doch Selbstwirksamkeit bedeutet:
Was kann ich tun, um für mich einzustehen – selbst wenn ich verletzt bin?

Manchmal ist Flucht keine Lösung. Aber sich Unterstützung zu holen, ist ein erster Schritt. Psychologische Beratung kann hier ein sicherer Raum sein, um aus der Erstarrung wieder ins Handeln zu kommen:

  • zu erkennen, was dich triggert – und warum
  • deine Grenzen wahrzunehmen und zu wahren
  • Handlungsoptionen zu entwickeln, die du heute tatsächlich hast

Das ist kein spirituelles Happy End – sondern echte innere Führung.


Natürlich kannst du sagen: „Diese Erfahrung hat mich wachsen lassen.“
Aber bitte: Verwechsle nicht Wachstum mit Schuldumkehr.

Du bist nicht dankbar für den Schmerz. Du bist stolz auf dich, weil du dich weiterentwickelt hast.

  • Weil du dich aufgerichtet hast.
  • Weil du deine Muster erkannt hast.
  • Weil du jetzt vielleicht spürst: Ich will etwas ändern.

Der Dank gehört nicht dem Arschengel.
Der Dank gehört dir.


Viele suchen „Heilung“ – und stellen sich darunter vor: Der Trigger ist weg, das Thema gelöst, der Schmerz nie wieder da.

So funktioniert innere Arbeit nicht.

Wahre Veränderung heißt nicht, dass du nie wieder reagierst.
Sie heißt: Du erkennst die Reaktion – und du weißt, wie du mit ihr umgehst.

Stell dir zwei Situationen vor:

  • In der einen bist du vollkommen überwältigt.
  • In der anderen spürst du den Trigger – aber du kannst dich halten, regulieren, neu reagieren.

Das ist der Unterschied zwischen einem alten Muster und neuer Selbstwirksamkeit.

Du verlierst nicht dich selbst.
Du verlierst die Ohnmacht.

Das ist INTEGRATION:
Der Trigger ist nicht verschwunden – aber er bestimmt nicht mehr, wer du bist.


Es gibt kaum einen Ort, an dem sich unsere alten Muster so gut tarnen wie im Berufsleben.
Was nach Teamkonflikt aussieht, ist manchmal nur das Echo einer Kindheitsdynamik mit neuem Namen.

Ein Kollege übergeht dich. Eine Führungskraft setzt dich subtil unter Druck.
Du lächelst, machst mit – und merkst erst später, wie sehr du dich dabei verraten hast.

Nicht weil du schwach bist. Sondern weil dein Nervensystem blitzschnell entschieden hat: Anpassen ist sicherer.

  • Du sagst nicht Nein, weil du gelernt hast, dass Nein zu Ärger führt.
  • Du willst Harmonie, weil du Streit als Gefahr abgespeichert hast.
  • Du übergehst dich, weil du es nie anders kanntest.

Und genau dort beginnt Veränderung: Wenn du nicht nur das Außen siehst – sondern auch, was in dir gerade mitläuft.

Psychologische Beratung kann helfen, diese Dynamiken nicht mit Schuld, sondern mit Klarheit und Handlungsspielraum zu beleuchten. Und du darfst dabei lernen, Sicherheit von innen aufzubauen, unabhängig vom Verhalten anderer.

Sicherheit ist kein äußeres Versprechen. Sie ist ein Zustand, der durch neue Erfahrungen wächst.


Dann darfst du aufhören, deinen Arschengeln Denkmäler zu bauen.
Du brauchst dich nicht bedanken, dass jemand dich verletzt, manipuliert oder missachtet hat.
Du darfst sagen: „Ich bin daran gewachsen.“ – weil du die Entscheidung getroffen hast, genauer hinzuschauen.

Nicht die Erfahrung war das Geschenk – sondern dein Mut, sie zu verändern.

Und genau dafür gebührt dir der Dank.