„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“
Ein Sprichwort, das lange als unumstößliche Wahrheit galt. Die Vorstellung dahinter: Kinder lernen schnell, Erwachsene kaum noch.
Doch die Forschung zur Neuroplastizität zeigt heute ein anderes Bild.
Auch im Erwachsenenalter bleibt das Gehirn veränderbar – wenn auch auf andere Weise als in der Kindheit. Wir können Denken, Fühlen und Handeln neu formen. Nicht von heute auf morgen, aber Schritt für Schritt.
Gewohnheiten im Alltag – wie sich Bahnen im Gehirn formen
Ob wir morgens zuerst zum Handy greifen oder automatisch den Weg zur Arbeit antreten – unser Alltag besteht aus Gewohnheiten. Solche Routinen sind Ausdruck von Neuroplastizität: Sie entstehen, weil wir bestimmte Abläufe immer wieder wiederholen.
Statt kompliziert über Synapsen und Nervenzellen zu sprechen, hilft ein Bild: Jedes Mal, wenn wir etwas tun oder denken, schlagen wir einen Pfad im Gehirn ein. Je öfter wir ihn gehen, desto breiter wird er, bis er wie eine Autobahn wirkt. Deshalb üben Feuerwehrleute oder Rettungssanitäter Abläufe immer wieder – damit sie im Ernstfall automatisch abrufbar sind.
Früh gelernte Verhaltensmuster sind solche Autobahnen: tief verankert, schnell und automatisch. Bevor der präfrontale Cortex abwägen und steuern kann, reagieren das limbische System und das Stammhirn. Das Gehirn antwortet also, bevor es denkt. So erklärt sich, warum uns bestimmte Reaktionen „aus dem Bauch heraus“ kommen.
Kindheit prägt – aber nicht endgültig
Die ersten Lebensjahre sind eine Phase intensiver Neuroplastizität. Synapsen entstehen in großer Zahl, alte Bahnen werden verstärkt oder abgebaut. Erfahrungen prägen dauerhafte Grundmuster:
- Wer Sicherheit und Ermutigung erlebt, trägt Netzwerke in sich, die Vertrauen und Offenheit fördern.
- Wer dagegen Unsicherheit erfährt, entwickelt eher „Alarmbahnen“ – ständige Wachsamkeit, Anspannung, Rückzug.
Diese frühen Spuren zeigen sich später in Glaubenssätzen wie:
„Ich schaffe das nicht.“ – „Veränderung ist gefährlich.“ – „Wenn ich mich anstrenge, werde ich doch enttäuscht.“
Solche Überzeugungen blockieren uns, noch bevor der Verstand eingreifen kann. Und doch gilt: Alte Wege bleiben bestehen, aber neue können sich jederzeit daneben entwickeln – wenn wir sie gehen und wiederholen.
Embodiment – Erfahrungen prägen auch den Körper
Embodiment-Forschung macht deutlich: Erfahrungen sind nicht nur Erinnerungen im Kopf, sondern auch im Körper spürbar. Haltungen, Bewegungen und Atmung spiegeln erlernte Muster.
Ein Beispiel:
- Wer Sicherheit durch Nähe erfahren hat, sucht später Kontakt, wirkt entspannt, lässt die Schultern sinken.
- Wer gelernt hat, dass Nähe unsicher ist, hält eher Abstand, zieht die Schultern hoch, vermeidet Blickkontakt.
So werden psychologische Muster zu verkörperten Programmen. Sie sind nicht festgelegt, aber sie zeigen, wie tief Erfahrungen im gesamten System wirken.
Lernen im Erwachsenenalter – Hindernisse und Chancen
Im Erwachsenenalter ist Lernen herausfordernder. Alte Bahnen sind stabil, neue Erfahrungen werden durch bestehende Muster gefiltert. Außerdem können Glaubenssätze blockieren, noch bevor wir bewusst darüber nachdenken.
Doch Erwachsene bringen auch etwas Wertvolles mit: Bewusstsein, Selbstreflexion, die Fähigkeit, Erfahrungen einzuordnen. Neuroplastizität im Erwachsenenalter bedeutet daher zweierlei: Neue Bahnen können entstehen, und alte, ungenutzte Wege können reaktiviert werden.
Das Langer-Experiment – alte Wege neu beleben
Ein eindrückliches Beispiel liefert die Psychologin Ellen Langer. In den 1970er Jahren verbrachten ältere Männer eine Woche in einem ehemaligen Kloster in New Hampshire, das so eingerichtet war, als lebten sie 20 Jahre früher. Kleidung, Musik, Gespräche – alles war auf diese Zeit abgestimmt.
Das Ergebnis: Die Männer gingen aufrechter, ihre Beweglichkeit nahm zu, Gedächtnisleistungen verbesserten sich. Manche wirkten sogar äußerlich jünger.
Die Erklärung: Alte neuronale Bahnen wurden durch die veränderte Umgebung reaktiviert. Embodiment spielte eine entscheidende Rolle: Durch Haltung, Verhalten und Atmosphäre fühlten sich die Männer jünger – und ihr Körper folgte.
Wie psychologische Beratung unterstützen kann
Viele Menschen merken: Sie wollen etwas ändern – und stoßen doch immer wieder auf alte Muster. Hier kann Beratung helfen. Sie bietet einen Raum, um Glaubenssätze zu erkennen, eingefahrene Bahnen sichtbar zu machen und neue Erfahrungen bewusst einzuüben.
Körperarbeit, Achtsamkeit oder Perspektivwechsel wirken dabei als Hebel: Sie schaffen die Bedingungen, unter denen das Gehirn neue Wege aufbaut und stärkt.
Neue Wege entstehen – neben den alten
Veränderung heißt nicht, die Vergangenheit zu löschen. Alte Muster tauchen auf, manchmal stärker, manchmal schwächer. Aber neue Wege können entstehen, neben den alten bestehen – und mit Übung zur Routine werden.
Das Gehirn ist kein starres Gebilde, sondern ein lebenslang veränderbarer Organismus. Vergangenheit und Zukunft gehen darin Hand in Hand.
Ein neues Sprichwort für heute
Vielleicht sollten wir das alte Sprichwort deshalb umschreiben:
„Was Hänschen leicht lernt, kann Hans immer noch lernen – auf seine Weise.“
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